Philosophie

You’ن’us Philosophie

Hay Ibn Yaqsan

 und das Gleichnis als (Gottes-)Suchender

Hayy ibn Yaqsan, übersetzt Sohn des Wachenden - so lautet der Name des Einsamen, der auf eine Insel verstoßen wurde. Wir beginnen mit dem ersten der fünf Abschnitte, mit den ersten sieben Jahren von Hayy ibn Yaqsan. Dieser Abschnitt steht ganz im Zeichen des kindlichen Denkens, welches hier auch als Instinkt dargestellt wird. In dieser Zeit lernt Hayy die elementaren Gefühle und Verhaltensweisen durch die Gazelle kennen, die primitivsten Dinge, z.B. dass man sich mit einem Blatt einkleiden kann. Hier ist interessant zu beobachten, dass er nur das nachahmt, was er sieht und nichts hinterfragt.


Die zweite Phase, die bis zum Alter von einundzwanzig Jahren geht, wird angeführt von der praktischen Vernunft, der Anlass dafür ist der Tod der Gazelle. Dadurch wird ihm deutlich, dass der Körper nur die äußere, sterbliche Hülle eines Lebewesens darstellt. Das eigentliche Prinzip muss ein Geist sein, der die Tiere offenkundig zum Zeitpunkt des Todes verlässt. Auf diese Erkenntnis bauen die Überlegungen des nächsten Lebensabschnittes auf. Bis zu dem Alter von achtundzwanzig Jahren bildet er sich in der Physik bzw. den sinnlich wahrnehmbaren Dingen aus. Er lernt Pflanzen von Tieren und beide von Mineralien zu unterscheiden. Er kategorisiert das Gelernte, danach, was ein Individuum ist und zu welcher Art es gehört. Vor allem begreift er, dass für jedes Ding sowohl ein materieller Grund als auch eine Formursache existiert. Das Konzept der Form führt ihn zum Konzept der Seele. Im Alter von achtundzwanzig Jahren ist Hayy ibn Yaqsan an der Pforte zur Metaphysik angekommen. Er lernt, dass es einen Urheber geben muss, der verantwortlich ist für die Erschaffung von allem. Hier zeigt Hayy ibn Yaqsan durch die Bearbeitung des Lehmes, dass jede Form in Höhe, Breite und Länge dehnbar ist. Durch diese Analogie stellt er die Verknüpfung zu einem Urheber her. Für Hayy ibn Yaqsan führt der Weg zur Lösung über die Kosmologie. Er fragt sich, wie die Himmelskörper, die so majestätisch sind, über ihn hinweg ziehen, auch wenn diese Körper endlich ausgedehnte Körper sind. Damit hätte Hayy ibn Yaqsan die Frage des Ursprungs der Welt gelöst. Ein Schöpfer hat sie hervorgebracht, der vollkommen und nicht von der Zeit abhängig und nicht dehnbar ist. Er ist jetzt fünfunddreißig Jahre alt und weiß um Gottes überragende Stellung und Vollkommenheit. Seine Aufgabe besteht jetzt darin, sich diesem erhabenen Wesen zu nähern. Er widmet sich der Wissenschaft der Erkenntnis, welche im Ansatz des eigenen Wesens liegt. Daraus ergibt sich, dass die Seele erst dann ihre letzte Erfüllung findet, wenn sie zu ihrem Ursprung zurückkehrt, indem sie Gott erkennt. Der Weg dahin führt Hayy ibn Yaqsan über die Beobachtung der Sterne. Er definierte diese nicht als eine Materie, sondern dass die Möglichkeit besteht, dass sie eine Seele zu besitzen und dass sie Gott nahe sind. Deswegen beginnt er die Gestirne zu imitieren und sich kreisförmig zu bewegen. Durch die schnellen Kreisbewegungen schafft er es, die reine Erkenntnis zu erreichen. Im letzten Abschnitt lernt er, ohne weitere Hilfsmittel den Weg zu Gott zu finden, indem er den Rückzug aus der wahrnehmbaren Welt unternimmt. So schaut er „was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und was in keines Menschen Herz gekommen ist“. Damit hat er endgültig seine Bestimmung erlangt.

 

 
Der „Schleier“ 

 

Ibn Tufail über den Schleier: Dieser dünne Schleier soll entfernt werden, jedoch, wie Ibn Tufail sagt, nur von demjenigen, der es würdig ist. Solch ein Schleier ist bei Hayy ibn Yaqsan vorhanden, d.h. dieses Werk soll den Menschen dazu bringen, den Schleier zu durchbrechen, damit er wie Hayy ibn Yaqsan die Gotteserkenntnis erreichen kann.

Gegen Ende des Schlusswortes jedoch wird deutlich, dass diese Erfahrung der Gotteserkenntnis nicht einfach in Worten wiederzugeben ist. Ibn Tufail entschuldigt sich dafür, dass er die Stufe erreicht hat, seine Erfahrung aber nicht in Wort fassen kann. Er hofft mit dem Werk einen Anreiz zu geben, um einen Weg zu gehen wie Hayy ibn Yaqsan.


An wen ist das Werk gerichtet?

 

Der Widerspruch bzw. der Kontrast liegt in der Lesart des Werkes Hayy ibn Yaqsan. In dem Kontrast geht es de facto nicht um die Geschichte an sich, weshalb Hayy ausgesetzt wurde bzw. welche Menschen er am Ende kennengelernt hatte. In dieser Gegenüberstellung geht es um Hayy ibn Yaqsan als „Kinderbuch“ oder/und „Lehrbuch für Philosophen“. Hierbei spielt die Sicht auf den Text eine zentrale Rolle, daher kann Hayy ibn Yaqsan sowohl als Kinderbuch als auch Lehrbuch für Philosophen betrachtet werden. Bei dem Versuch es als Kinderbuch darzustellen bzw. zu interpretieren, sollten bei dem Werk die philosophischen Teile wie die End- oder Unendlichkeit der Welt und Gott als die erste Ursache wegfallen. Die Stellen, die für ein Kinderbuch in Frage kommen, sind sein Leben unter den Tieren und die Entdeckung des Feuers. Hierbei kann von einer „kindlichen“ Erzählung die Rede sein, wobei die „unkindlichen“ Teile wegfallen. 

Um es als Lehrbuch für Philosophen darzustellen, dürfen die „unkindlichen“ Teile nicht wegfallen. Eben diese Teile sind wichtig für ein solches Lehrbuch, da sie sich mit den Fragen der Philosophie beschäftigen. Unser Protagonist im Werk geht auf eine der grundlegenden Fragen der Philosophie ein: Gibt es einen Schöpfer? Dabei sind der Abschnitt, in dem er die Metaphysik kennenlernt, bis zu dem Punkt der Gotteserkenntnis von Wichtigkeit für das Lehrbuch. 

Es liegt jedoch auch eine Konsequenz vor, wenn das Werk als Kinderbuch wiedergegeben wird. Das Schlusswort von Ibn Tufail, in dem er über das Durchbrechen des Schleiers spricht, ist für den Widerspruch ein zentrales Kennzeichen. Wenn man eben diese „unkindlichen“ Teile weglässt, und damit auch das Herzstück seines Werkes, dann ist es nicht möglich, diesen Schleier zu durchbrechen. Dazu sagt Ibn Tufail wie folgt: „Dennoch haben wir die Geheimnisse, die wir diesen wenigen Blättern anvertraut haben, mit einem dünnen Schleier versehen, der sich durch den, der dazu bestimmt ist, schnell entfernen lässt“. Mit dem geheimen Wissen ist die Gotteserkenntnis gemeint, die nur möglich ist zu verstehen, wenn eben diese philosophischen Abschnitte wiedergegeben und verstanden werden. Daher wäre es als Kinderbuch nie in seiner Gänze als Erkenntnistheorie aufzufassen. 

 

Das Werk „Hayy Ibn Yaqzan“ wurde vom muslimisch-andalusischen Arzt und Philosoph Abu Bakr Ibn Tufail verfasst. Darin wird die von Kindes- bis zum Erwachsenenalter anhaltende Reise zur Gotteserkenntnis bzw. das Durchbrechen des „Schleiers“ beschrieben. Hayy Ibn Yaqzan wurde in der europäischen Literatur als Vorbild genommen: Auf Basis des Inselromans von Ibn Tufail entstand der Roman „Robinson Crusoe“.



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