Kunst

You’ن’us Interview

Malerei als Sprachrohr

Figuren mit Botschaft aber ohne Münder


Elif Çelik ist eine junge Künstlerin aus Ulm und studiert seit 2016 Bildende Kunst in Stuttgart an der Kunstakademie. Als Post-Migrantin behandelt sie in ihren Arbeiten Themen wie Rassismus und Zugehörigkeit zu Deutschland. Wenn ich von Bildern mit Figuren ohne Münder spreche, dann meine ich ihre Werke. Im Januar traf ich Elif persönlich im Dorotheen- Quartier in Stuttgart, wo sie uns durch eine temporäre Ausstellung führte. Einen Teil davon bildeten ihre Kunstarbeiten. Wir sprachen über ihre Werke und den Alltag im Studio..


Esra: Selam Elif. Danke, dass du uns empfangen hast! Wir sind sehr gespannt Dich und deine Arbeiten näher kennenzulernen. Ich habe dich über deinen Instagram-Account entdeckt. Mit großer Neugier habe ich beim Durchscrollen deine Werke bewundert. Beim ersten Hinsehen entstanden zahlreiche Fragen in meinem Kopf. Kurze Zeit später sah ich, dass du ein Teil der Ausstellung hier im Dorotheen-Quartier Stuttgart bist. Gratuliere dir dafür!
Wie kam diese Ausstellung zustande und wie hast du die Ausstellungszeit erlebt?


Elif Çelik: Die Ausstellung kam ziemlich spontan durch Freunde zustande. Das hier ist eine Galerie, die nur temporär bis März bestehen wird. Ich habe die Möglichkeit bekommen, für einen Zeitraum von 3 Wochen auszustellen. Heute ist auch schon 

der letzte Tag. Es ist eine große Freude für mich, im Dorotheen-Quartier, das zentral in der Stuttgarter Stadtmitte liegt, meine Werke auszustellen. Es sind sehr viele Besucherinnen und Besucher gekommen. Insgesamt war es eine schöne Erfahrung für mich.


Esra: Wenn wir heute mit Masken in geschlossenen Räumen aneinander vorbeilaufen und uns begegnen, sehen wir den Mund und die Nase nicht. Gerade der Mundwinkel formt unsere Gesichtszüge und Mimiken. Trotzdem ist das Gesicht bei Begegnungen die Informationsquelle.Es findet weiterhin ein Kommunikationsaustausch statt. Insbesondere, weil andere Merkmale mehr in den Fokus rücken, wie die Augen zum Beispiel. Man sagt: Die Augen sind “die Fenster der Seele”.

Eine Frage, die du bestimmt oft hörst: Warum sind die Münder deiner Figuren nicht vorhanden?


Elif: Tatsächlich höre ich die Frage sehr oft. Man sagt ja: “Kunst ist der Spiegel der Gesellschaft” und ich bin ein Teil dieser Gesellschaft. Ich merke, wie satt ich es habe, mich rechtfertigen zu müssen.

Ich versuche die Stimmung zum Fokus zu bringen, gezielt durch die Farben, die Blicke und die Haltung der Figuren, und dabei ist mir der Mund einfach überflüssig. Der Blick erfüllt bereits das, was ich zeigen möchte. Ich möchte, dass verschiedene Identifikationen entstehen und sich jeder irgendwie wiederfinden kann. Es soll dabei keine Lenkung zu etwas entstehen, durch Geschlechtsmerkmale oder Symbole, das hat sich dann im Nachhinein zwar verändert, aber gilt weiterhin für die ursprünglichen Figuren.


Esra: Deine Figuren kann man als gender-neutral, zugleich auch dem vertrauten biologischen Bild des Menschen nicht direkt zuordnen. 

Wie empfindest du die Gleichberechtigung der Geschlechter in der heutigen Kunstszene?

Elif: Gleichberechtigung der Geschlechter ist ein schwieriges Thema, weil ich nicht der Meinung bin, dass in der Kunstszene Frauen und Männer gleich behandelt werden beziehungsweise die gleichen Chancen bekommen. Mehrheitlich sind Männer in der Kunstszene erfolgreicher, aber für mich ist das wiederum nochmal anders. Ich bin eine Frau mit Migrationshintergrund plus Kopftuch. Deswegen kann ich nicht direkt von einem gerechten Konkurrenzkampf sprechen. Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, nur als Frau in der Kunstszene zu stehen. Es gibt auf jeden Fall ein Ungleichgewicht.


Esra: Die Elemente, wie Wassermelone, Teppich und Çay, prägen manche deiner Werke. Welche Bedeutung schreibst du ihnen zu?

Elif: Ich hatte ursprünglich nur einzelne Figuren gemalt. Später wollte ich weiter in den Raum und das Ganze erweitern. Die Räumlichkeit ist ein Teil der Entwicklung, irgendwann wollte ich weniger Interpretationsraum schaffen und gezielter arbeiten, damit die Bilder einfacher für sich sprechen und mehr Inhalt bekommen. Für mich sind das teilweise Alltagssituationen. Ich habe einen türkischen Hintergrund. Wie bei vielen anderen Kulturen auch, sind wir von einer uralten Tradition der Teppichkultur geprägt. Diese Teppiche beinhalten Symbole, die unterschiedliche Bedeutungen haben, wie zum Schutz vor bösen Blicken (evil eye, Nazar), Krankheiten oder vor Angriffen. Natürlich stehen sie auch für Liebe, Familie und Gesundheit. Ich habe mich aber speziell für die Symbole entschieden, die zum Schutz dienen. Ich finde, dass sie zu meiner jetzigen Lebensrealität sehr gut passen, weil ich einer andauernden Beobachtung ausgesetzt bin, oder mich unter anderem vor bestimmten Dingen schützen muss. Die Teegläser sind in den türkischen, aber auch in kurdischen, arabischen und weiteren Kulturkreisen vorhanden. Die kennt allmählich schon fast jeder in Deutschland. Meine Figuren sitzen oder liegen auf einem Teppich, trinken teilweise Tee und haben eine völlig anatomisch-falsche Haltung. Die Körper sind verformt und zeigen die erzwungene Anpassung. Sie schauen den Betrachtenden an. Sie versuchen zu zeigen, wie es sich anfühlt, beobachtet zu werden. Die Wassermelone ist in dem Fall nur auf einem Bild zu sehen. Das bezieht sich auf ein politisches Statement. Zwischen 1980 und 1993, war es in Israel den palästinensischen KünstlerInnen nicht erlaubt, die palästinensische Flagge darzustellen. 

Also malten sie Wassermelonen und so entstand eine Bewegung


Esra: Die meisten deiner Werke haben keinen Titel. Was ist der Grund?

Elif: Eigentlich ganz einfach: Ich möchte keinen Rahmen geben. Manchmal habe ich Titel, weil es notwendig ist, aber in der Regel nicht. 


Esra: Fühlst du dich manchmal als Künstlerin missverstanden?

Elif: Ich fühle mich nicht nur als Künstlerin, sondern als Person missverstanden. Missverständnisse passieren ja in der Regel ungewollt, aber ich habe das Gefühl, dass ich manchmal gewollt und absichtlich missverstanden werde. Einfach, weil ich das Gefühl habe, die Menschen wollen gar nicht wissen, was ich sagen möchte. Deswegen kann ich mit Ja antworten. Ich nutze meine Malerei, um mich zu erklären.


Esra: Wie bewertest du den Umgang der postmigrantischen Generation mit Kunst?

Elif: Ich finde allmählich schon besser. Es gibt inzwischen viele Künstlerinnen und Künstler aus dieser Generation. Zwar nicht in der Malerei, aber in anderen Bereichen. Doch wenn ich jetzt die Kunstakademie anschaue, wo ich studiere, sind wir sehr, sehr wenige.


Esra: Wann war deine erste Begegnung mit Kunst? Was waren deine ersten Inspirationen?

Elif: Ich kann mich erinnern, dass meine Bilder im Kindergarten an die Wand gehängt wurden. Auf dem Gymnasium wählte ich dann den Kunstzug. Ich habe auch das Abitur in Kunst gemacht und bin dann direkt zum Kunststudium gekommen. Sie war also schon immer in meinem Leben.


Esra: Heute steht in deiner Bio-Beschreibung “between dichotomy and harmony” übersetzt “zwischen Zwiespalt und Harmonie”.Wie kommt es, dass du dich zwischen diesen zwei Polen orientierst?

Elif: Wir- Ich sage jetzt bewusst wir- werden von der Mehrheitsgesellschaft oft anders gelesen oder gar nicht erst akzeptiert. Trotzdem gehören wir zur Gesellschaft dazu und gestalten sie mit. Die Spannung mittendrin zu sein; zwischen Dazugehören und nicht. Das ist unser Leben. Es gibt nie eine Vollkommenheit.


Esra: Wie sieht dein Alltag im Studio aus?

Elif: Eigentlich schaut es jedes Mal anders aus. An manchen Tagen arbeite ich stundenlang an einer Arbeit und manchmal stehe ich stundenlang vor der leeren Leinwand und weiß nicht, wo ich anfangen soll. Aber Musik und Tee gibt es immer.


Esra: Hast du bestimmte Rituale oder Gewohnheiten, die du vor oder während deiner Arbeit regelmäßig tust?

Elif: Nein, habe ich tatsächlich nicht. Gegen Abends habe ich gerne viele Kerzen oder ein Räucherstäbchen an. In der Regel riecht es im Atelier wegen der Farben im Abfluss sehr streng, aber mit den Räucherstäbchen passt es dann wieder [lacht].


Esra: Gibt es andere Techniken, die du noch in deiner Arbeit gerne anwendest? Hast du weitere Projekte, die demnächst uns noch erwarten?

Elif: Parallel mache ich auch gerne etwas mit Glas, sogenannte Glasmalerei. Daneben habe ich vor, Glasskulpturen zu machen. Meine nächste Arbeit ist zwar auch wieder Malerei, aber diesmal auf einem handgeknüpften Teppich.


Esra: Gibt es abschließend eine Message, die du den ZuhörerInnen und LeserInnen auf den Weg geben möchtest?

Elif: Ich finde, dass wir Migra-Kids uns ermutigen müssen, unsere Träume zu erfüllen. Als ich damals meiner Familie gesagt habe, dass ich Kunst studieren möchte, war selbstverständlich die Reaktion nicht: „Natürlich solltest du das machen!“, denn ein Kunststudium ist mit Risiken verbunden. Im Nachhinein ist es kein sogenannter „Garantie Job“. Ich glaube mal die Tatsache, dass wir mehrheitlich aus einer niedrigen sozialen Schicht kommen, drängt uns dazu, Jobs auszuüben, bei denen wir eine sichere Arbeit haben, finanziell und sozial abgesichert sind. Aber wir als zweite oder dritte Generation sollten diese Angst nicht mehr haben. Es fehlen einfach Menschen in bestimmten Branchen, wie jetzt in der Kunst, Frauen und Männer mit Migrationshintergrund. Tatsächlich ist der Hauptgrund dafür die Angst vor der Zukunft. Da sollte man sich einfach mal trauen! Ich hoffe, mehr Frauen und mehr Künstlerinnen mit Kopftuch zu sehen, die auch Malerei und Bildende Kunst machen. Das ist meine Message und Wunsch für die Zukunft.
 

Vielen Dank, liebe Elif für das Interview! Es war eine große Freude dich kennenzulernen. Ich persönlich finde es sehr mutig und empowernd, dass du wichtige Themen in deiner Kunst so ausdrucksstark ansprichst. Deshalb empfinde ich, auch wenn deine Figuren keine Münder haben, sprechen sie ganz laut und deutlich die Realität aus. Sie widerspiegelt/ repräsentiert eine Art Sprachrohr für viele Menschen, besonders jungen Leuten, unserer Gesellschaft. 


Ich wünsche dir weiterhin viel Erfolg und Leidenschaft in deiner Arbeit. 


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